Montag, 22. November 2010

Kapitel Drei

Kapitel Drei

Die
Beethoven
Oper Fidelio –
Leonorens Suche
nach ihrem Mann Florestan,
seine Aufdeckung und Neubelebung:
Eine Neuerzählung des Mythos von Isis und Osiris
(mit einem Exkurs über den Freischütz)

Ludwig van Beethovens Fidelio hatte im November 1805 seine Uraufführung. Es heißt aber, diese seine einzige Oper wurde schlecht empfangen, teils weil Wien damals von Napoleon besetzt war und viele Wiener die Stadt verlassen hatten. Auf ihren Plätzen im Theater an der Wien saßen französische Offiziere der Besatzungsmacht. Das erklärt aber nicht, warum die einheimischen Zeitungsrezensenten ebenfalls unbeeindruckt blieben. Wie dem auch sei, die Oper wurde nach nur drei Aufführungen vom Programm gestrichen.

Beethoven nahm die Schuld dafür auf sich und nahm sich eine weitreichende Neubearbeitung vor. Diese neue Version, im März 1806 vorgestellt, wurde positiver empfangen. Beethoven sah sich aber benötigt, nach nur noch fünf weiteren Vorstellungen, die Oper in einer Auseinandersetzung über den Kartenerlös von der Bühne zurückzuziehen.

Es wurde also erst am 23. Mai 1814, fast neun Jahren nach seiner Uraufführung, die nochmals revidierte Version in zwei Aufzügen, die heute in allen großen Häusern zu erleben ist, auf die Bühne gebracht.

Fidelio hatte seinen Ursprung als deutsche Bearbeitung eines französischen Librettos von Jean Nicolas Bouilly für die Oper Léonore ou l’amour conjugal [Léonore oder die Gattenliebe] zur Musik von Pierre Gaveaux. Der wiener Hofschreiber Joseph Sonnleithner, dessen Text später vom Intendanten Friedrich Georg Treischke und von Stephan von Breuning abgekürzt und sonst sehr geändert wurde, belieferte Beethoven mit dem ursprünglichen deutschen Libretto.

In seiner Schlußfassung ist das Werk auf eine erhabene Idee viel schärfer fokussiert: nämlich, dass die Liebe eines engagierten Ehepartners die Macht hat, die Tore des Gefängnisses zu öffnen, selbst des Gefängnisses der Tyrannei, selbst der schlimmsten Tyrannei von Tod und Hölle, um einen Geliebten von der Dunkelheit und Einsamkeit des Grabes an das ewige Licht und die himmlische Verzückung zu führen.

Leonore sucht schon über zwei Jahre nach ihrem Mann Florestan, der über vernichtendes Beweismaterial verfügte und daher von seinem Todfeind Don Pizarro, Gouverneur verschiedener Staatsgefängnisse rechtswidrig und insgeheim in eines davon geworfen wurde. Obwohl sie nicht wissen kann, ob er in diesem Gefängnis sitzt, ahnt sie es doch und begibt sich dahin. Sie hat sich als Knabe verkleidet, nennt sich Fidelio, “der Treue” und hat sich dem alten Kerkermeister Rocco beliebt gemacht, dessen Tochter Marzelline aber nun, in einer komischen Nebenhandlung, sich in Fidelio verknallt hat, troztdem, dass Marzelline schon einen so braven wie anhaltenden Verehrer, Jaquino, hat. Beide, Vater und Tochter, machen sich Gedanken darüber, ob es wohl bald eine Hochzeit gibt?

Rocco will in seiner Arie dem vermeintlichen jungen Paar guten Rat erteilen, aber sein Rat heißt: Geld haben!

Hat man nicht auch Gold beineben,
Kann man nicht ganz glücklich sein;
Traurig schleppt sich fort das Leben,
Mancher Kummer stellt sich ein.
Doch wenn’s in den Taschen fein klingelt und rollt,
Da hält man das Schicksal gefangen,
Und Macht und Liebe verschafft dir das Gold
Und stillet das kühnste Verlangen.
Das Glück dient wie ein Knecht für Sold,
Es ist ein schönes Ding, das Gold.

Wenn sich nicht mit nichts verbindet,
Ist und bleibt die Summe klein;
Wer bei Tisch nur Liebe findet,
Wird nach Tische hungrig sein.
Drum lächle der Zufall euch gnädig und hold
Und segne und lenk’ euer Streben;
Das Liebchen im Arme, im Beutel das Gold,
So mögt ihr viel Jahre durchleben.
Das Glück dient wie ein Knecht für Sold,
Es ist ein mächtig Ding, das Gold.

Leonore erwidert: “Ihr könnt das leicht sagen, Meister Rocco, aber ich, ich behaupte, dass die Vereinigung zweier gleichgestimmter Herzen, die Quelle des wahren ehelichen Glückes ist. (Mit Wärme) O dieses Glück muß der größte Schatz auf Erden sein!”

Unterdessen erfährt Don Pizzaro durch einen Eilbrief, dass der Minister Don Fernando herausgefunden hat, Pizzaros Staatsgefängnisse erhalten “mehrere Opfer willkürlicher Gewalt” und reist höchstpersönlich aus Seville an, um mit einem Besuch zu überraschen. Pizzaro beschließt, seinen Gefangenen Florestan sofort zu ermorden. Ein Trompeter soll auf dem Turm wachen und ihm sofort das Annähren eines Wagens aus Sevilla melden.

Aber zu seiner Greultat braucht Pizzaro Hilfe von dem Kerkermeister Rocco. Er gibt ihm einen Beutel mit Geld und sagt ihm: “Du wirst ein reicher Mann” (weiß er wohl, dass dem Alten am Gold liegt?) Dann sagt er weiter: “Du bebst? Bist du ein Mann? Wir dürfen gar nicht säumen; dem Staate liegt daran, den bösen Untertan schnell aus dem Weg zu räumen.”

Rocco will nicht morden; doch er weiß, dass der Gefangene fast verhungert ist und sieht den Mord als eine Art Befreiung. Am Ende sagt Pizzaro, er werde Florestan töten, Rocco soll ihn begraben helfen:

Pizzarro. Dann werd ich selbst, vermummt,
mich in den Kerker schleichen. –
(Er zeigt den Dolch.)
Ein Stoß – und er verstummt!

Rocco. Verhungernd in den Ketten
Ertrug er lange Pein,
Ihn töten, heißt ihn retten,
Der Dolch wird ihn befrein.

Leonore sieht den verhassten Pizzarro von seinem Gespräch mit Rocco wegeilen. In einem Rezitativ und in einer drauffolgenden Arie singt sie folgendes, worin sie zeigt, dass sie sein Vorhaben ahnt aber ihren Glauben an das Gute nicht aufgibt:

Rezitativ:
Abscheulicher! Wo eilst du hin?
Was hast du vor in wildem Grimme?
Des Mitleids Ruf, der Menschheit Stimme,
Rührt nichts mehr deinen Tigersinn?
Doch toben auch wie Meereswogen
Dir in der Seele Zorn und Wut,
So leuchtet mir ein Farbenbogen,
Der hell auf dunklen Wolken ruht:
Der blickt so still, so friedlich nieder,
Der spiegelt alte Zeiten wieder,
Und neu besänftigt wallt mein Blut.

Arie:
Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern
Der Müden nicht erbleichen!
Erhell mein Ziel, sei’s noch so fern,
Die Liebe wird’s erreichen.
Ich folg dem innern Triebe,
Ich wanke nicht,
Mich stärkt die Pflicht
Der treuen Gattenliebe!
O du, für den ich alles trug,
Könnt’ ich zur Stelle dringen,
Wo Bosheit dich in Fesseln schlug,
Und süßen Trost dir bringen!
Ich folg dem innern Triebe,
Ich wanke nicht,
Mich stärkt die Pflicht
Der treuen Gattenliebe!

Voll Mitgefühl für alle unterdrückte Wesen bittet Leonore Rocco, wie oft zuvor, ob es nicht doch irgendwie möglich wäre, wegen dem schönen Frühlingswetter, die Gefangenen, zumindest die leichten, welche nicht in den Kellergewölben wohnen, in den Gefängnisgarten zu lassen. Rocco zögert: “Kinder, ohne Erlaubnis des Gouverneurs?” Dann sagt ihm seine Tochter: “Aber er sprach so lange mit Euch. Vielleicht sollt Ihr ihm einen Gefallen tun, und dann wird er es so genau nicht nehmen.” Rocco überlegt sich. Dann sieht er ein, dass Pizzarro wegen des geplanten Mordes ihn wohl nicht werde bestrafen wollen: “Einen Gefallen? Du hast Recht, Marzelline. Auf diese Gefahr hin kann ich es wagen.”

Also kommen die Gefangenen an die frische Luft und den Sonnenschein heraus. Ihr Chor ist wunderschön und drückt aus, dass die Freiheit eine Gabe des Himmels für alle Menschen ist:

O welche Lust, in freier Luft
Den Atem leicht zu heben!
Nur hier, nur hier is Leben,
Der Kerker eine Gruft.

In einem Solo singt ein Gefangener von derselben Hoffnung, die Leonore belebt:

Wir wollen mit Vertrauen
Auf Gottes Hilfe bauen!
Die Hoffnung flüstert sanft mir zu:
Wir werden frei, wir finden Ruh’.

Alle beenden den Chor:

O Himmel! Rettung! Welch ein Glück!
O Freiheit! kehrtest du zurück?

Wenn die leichten Gefangenen den Kerker wie eine Gruft sehen und die Befreiung davon wie eine Auferstehung zum neuen Leben, wieviel schlimmer muß es Florestan in seinem tiefen Verlies ergehen, und wieviel Symbolik dürfen wir seiner Befreiung herauslesen, die wie folgt passiert:

Über die Jahre ist es Leonore gelungen, von einem gewissen Gefangenen zu erfahren, der im tiefsten, geheimsten Kerker haust. Wochenlang hat er auf Befehl von Pizzarro immer weniger zu essen und zu trinken bekommen. Sie ahnt, es könnte Florestan sein, besonders wenn sie erfährt, dass er schon zwei Jahre dort liegt, denn ihr Mann ist seit zwei Jahren vermisst. Rocco hatte schon immer Nein gesagt, als sie mitgehen wollte.

Diesmal aber braucht der Alte die Hilfe Fidelios, das Grab auszuschaufeln, also darf sie mit. Ob er schon tot ist? Ob sie ihrem eigenen Mann sein Grab ausheben soll? Tapfer steigt sie in die Kälte und Dunkelheit des Kerkers hinab.

Der zweite Aufzug beginnt mit einem furchterregenden Angstschrei in der Musik. Der Vorhang geht auf und wir sehen Florestan in seinen Ketten. Seine ersten Worte durchbohren unser Herz, doch wir erfahren, dass er seinem Gott immer noch traut:

Rezitativ:
Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille.
Öd ist es um mich her. Nichts lebet außer mir.
O schwere Prüfung! – Doch gerecht ist Gottes Wille!
Ich murre nicht! Das Maß des Leidens steht bei dir.

In seiner großen Arie wiederholt Florestan sein Schicksal bisher. Aber dann, in einer Art Nahtoderlebnis, welches an Halluzination grenzt, glaubt Florestan, dass ein Engel kommt, der seiner Frau Leonore gleich sieht, und ihn aus dem Kerker ins himmlische Reich führt:

Arie:
In des Lebens Frühlingstagen
Ist das Glück von mir geflohn!
Wahrheit wagt’ ich kühn zu sagen,
Und die Ketten sind mein Lohn.
Willig duld ich alle Schmerzen,
Ende schmählich meine Bahn;
Süßer Trost in meinem Herzen:
Meine Pflicht hab ich getan!
(In einer an Wahnsinn grenzenden, doch ruhigen Begeisterung.)
Und spür ich nicht linde, sanft säuselnde Luft?
Und ist nicht mein Grab mir erhellet?
Ich seh, wie ein Engel im rosigen Duft
Sich tröstend zu Seite mir stellet,
Ein Engel, Leonoren, der Gattin, so gleich,
Der führt mich zur Freihei ins himmlische Reich.

Leonore, wenn sie erfährt, der Gefangene ist doch ihr Mann, bittet für ihn von Rocco ein wenig Wein aus und sie gibt ihm ein Stückchen Brot, welches sie schon zwei Tage in der Tasche trägt. Brot und Wein sind natürlich symbolisch und unterstreichen die religöse Qualität der Szene und versprechen Florestans ultimative Rettung.

Als Pizzarro mit seinem Dolch erscheint, springt Leonore ihm in den Weg. Sie offenbart, dass sie die Frau von Florestan ist und sagt, der Dolch müsse zuerst ihre Brust durchbohren. Pizzarro holt aus, um sie beide zu töten, doch Leonore hat eine Pistole in der Hand: “Noch einen Laut – und du bist tot!” Gerade in dem Augenblick hört man vom Turm die Trompete: der Minister Don Fernando, ist angekommen, wie ein Gott aus der Maschine – deus ex machina – um die Sache zu richten. Die Trompete ruft den Totgeglaubten, Florestan, aus seinem Grab, zusammen mit seinem Engel Leonore, den Gott gesandt hatte, wie durch ein Wunder, ihn zu retten. Ihr Duett ist voll soteriologischer Ausdrücke der Danksagung:

Florestan. Treues Weib! Frau ohnegleichen!

Leonore. O namenlose Freude!
Mein Mann an meiner Brust!

Florestan. O namenlose Freude!
An Leonorens Brust!
...

Florestan. O Gott, wie groß ist dein Erbarmen!

Beide. O Dank dir, Gott für diese Lust!

Florestan. O himmlisches Entzücken!
Leonore!
...
Beide. O namenlose Freude!
Nach unnennbarem Leide
So übergroße Lust!

Don Fernando sagt aus, dass er auf Geheiß des “besten Königs” gekommen sei, “der Frevel Nacht zu enthüllen, die all umfangen schwarz und schwer.” Wenn die Gefangenen vor ihm hinknieen wollen, sagt er: “Nein, nicht länger knieet sklavisch nieder, Tyrannenstrenge sei mir fern. Es sucht der Bruder seine Brüder, und kann er helfen, hilft er gern.” Die Gefangenen jauchzen: “Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde, die lang ersehnt, doch unvermeint, Gerechtigkeit mit Huld im Bunde vor unsres Grabes Tor erscheint!”

Die Oper endet in einem freudenvollen Tutti und der Chor, wie in einem griechischen Stück, verkündet die Überwindung des Bösen durch das Gute. Fernando sagt Leonore, nur sie soll Florestan die Ketten abnehmen, woraufhin der Chor die Worte der neunten Sinfonie vorwegnimmt:

Chor. Wer ein holdes Weib errungen,
Stimm’ in unsern Jubel ein!

Chor (sehr lebhaft). Bestrafet sei der Bösewicht,
Der Unschuld unterdrückt.
Gerechtigkeit hält zum Gericht
Der Rache Schwert gezückt.

...
Alle. O Gott! Welch ein Augenblick!
O unaussprechlich süßes Glück!
Gerecht, o Gott, ist dein Gericht,
Du prüfest, du verläßt uns nicht!

Chor. Wer ein holdes Weib errungen,
Stimm’ in unsern Jubel ein!
Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.

Florestan. Deine Treu’ erhielt mein Leben,
Tugend schreckt den Bösewicht.

(Leonore, genau wie Pamina in der Zauberflöte, erkennt die Liebe als Führerin an):

Leonore. Liebe führte mein Bestreben,
Wahre Liebe fürchtet nicht.

Chor. Preist mit hoher Freude Glut
Leonorens edlen Mut.

Florestan. Wer ein holdes Weib errungen,
Stimm’ in unsern Jubel ein!
Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.

Leonore (ihn umarmend). Liebend ist es mir gelungen
Dich aus Ketten zu befrein.
Liebend sei es hoch besungen:
Florestan ist wieder mein!

Chor. Wer ein holdes Weib errungen,
Stimm’ in unsern Jubel ein!
Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.

Leonore. Liebend sei es hochbesungen:
Florestan ist wieder mein!

Alle übrigen. Nie wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten sein.

Wir sehen also, dass Beethovens Fidelio der unmittelbare Erbe, thematisch gesprochen, zu Mozarts Zauberflöte ist. In beiden großen Opern, als ob man den Mythos von Isis und Osiris auf Erden nachstellen würde, führt furchtlos eine treue Frau, wie ein Engel, von der Göttin der Liebe geführt, ihren Mann durch Nacht und Tod aus der Gruft in die Freiheit, in das himmlische Reich, wo sie beide unaussprechlich süße Freude genießen, den höchsten Schatz. In beiden Opern werden die Mächte der Dunkelheit vom Sonnenlicht einfach beiseite gefegt.

(Ein kurzer Exkurs):
Auf das Risiko hin, meine Leser weiter zu ermüden, kann ich der Versuchung doch nicht widerstehen, noch eine wichtige Oper zu empfehlen, die historisch gesehen dicht auf den Fersen von Beethovens Fidelio folgte, nämlich Carl Marie von Webers Der Freischütz aus dem Jahre 1821, mit einem Libretto von Johann Friedrich Kind, auf einer Erzählung aus dem Gespensterbuch basierend, welches 1810 von August Apel und Friedrich Laun herausgegeben wurde.

Der Freischütz ist, genau wie die Zauberflöte und Fidelio, ein Singspiel, d.h. eine Oper in deutscher Sprache mit gesprochenen Reden, eine Operngattung welche immer als Urdeutsch empfunden wurde, im Gegensatz zu der italianischen Operntradition, und dieses Werk ist die romantische deutsche Oper an sich.

Es geht um Max, einen jungen Jägerburschen, der in Agathe verliebt ist, die Tochter von Kuno, Erbförster beim Fürsten Ottokar. Nach alter Tradition muß sich Max morgen auf einer Art Schützenfest den ersten Preis erballern, will er seine Braut erwerben und ihrem Vater im Amt als Erbförster nachfolgen.

Ohne sein Wissen hat aber nun sein Kollege Kaspar, auch ein Jägerbursche, dem Teufel seine Seele verschrieben, nämlich Samiel, dem sogennanten schwarzen Jäger, der nun Kaspar willig hilft, das Können und die Geschicklichkeit von Max im Schießen zu verwünschen und zu verfluchen.

Kaspar legt für ihn eine Schlinge wobei er dem in letzter Zeit glücklosen Max eine seiner sogenannten Freikugeln zeigt, mit der Max mühelos einen riesigen Bergadler aus extrem großer Höhe herunterholt. Aus Verzweiflung geht Max dann genau um Mitternacht mit Kaspar in die Wolfsschlucht, um für den morgigen Wettstreit einen Bestand Zauberkugeln zu gießen.

Es stellt sich heraus, dass Kaspar, dessen Seele morgen fällig ist und in die Hölle gerissen werden sollte, sich eine Verlängerung der Frist erkaufen möchte, indem er Max und Agathe dem Teufel überliefern sollte, denn obwohl die ersten sechs Kugeln durch Zauber ins Ziel geführt werden sollten, steht die siebte Kugel unter der Macht des schwarzen Jägers und wird Agathe töten, über deren reine Seele Samiel sonst keine Macht haben könnte.

Max kommt in der Wolfsschlucht an, wo – musikalisch auch – die Hölle buchstäblich los ist, die sieben Kugeln werden aus Blei gegossen und das Unheil scheint unvermeidbar.

Doch als die Sonne am Morgen aufgeht, singt Agathe ein schönes Gebet des Glaubens an die Macht des Lichtes, die Mächte der Dunkelheit zu überwinden, welche ihren Geliebten momentan umstrickt halten (man denke dabei an Mozarts “die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht”):

Und ob die Wolke sie verhülle,
Die Sonne bleibt am Himmelszelt;
Es waltet dort ein heil’ger Wille,
Nicht blindem Zufall dient die Welt.
Das Auge, ewig rein und klar,
Nimmt alle Wesen liebend wahr.
Für mich auch wird der Vater sorgen,
Dem kindlich Herz und Sinn vertraut,
Und wär’ dies auch mein letzter Morgen,
Rief’ mich sein Vaterwort als Braut:
Sein Auge, ewig rein und klar,
Nimmt meiner auch mit Liebe wahr!

Es stellt sich heraus, dass Agathe am Tage vorher von einem alten Eremiten eine Warnung erhalten hatte, sich vor irgendeinem großen Unheil zu hüten. Sie bekam von ihm auch einen Strauß weißer Rosen geschenkt. Nachher, als ihr Brautkranz ins Haus geliefert wird, ist es – durch irgendeinen Irrtum – nicht ein Brautkranz sondern ein Totenkranz. Also werden in letzter Minute die weißen Rosen vom Eremiten zum Brautkranz gewunden.

Ausserdem hatte Agathe einen beunruhigenden Traum: sie träumte, dass sie eine weiße Taube wäre und dass Max auf sie schösse und dass sie hinfiele, aber da war sie plötzlich wieder die Agathe und ein großer schwarzer Vogel lag an ihrer Stelle in seinem Blut.

Der Ablauf der Ereignisse folgt dann genau ihrem Traum: als Max vom Fürsten aufgefordert wird, seine siebte Kugel auf eine weiße Taube im nahen Baum abzudrücken fliegt die Taube zu einem zweiten Baum, wo Kaspar sich versteckt hält. Agathe erscheint zwischen den Bäumen gerade als der Schuss fällt. Agathe und Kaspar fallen hin, aber sofort erscheint der alte Eremit und hebt Agathe wieder auf. Dann verschwindet er in der Menschenmenge. Es scheint zuerst, als habe Max seine Braut erschossen aber sie ist unverwundbar, von den heiligen weißen Rosen und von ihrer eigenen Reinheit geschützt. Als er stirbt, stösst Kaspar furchtbare Flüche auf Gott und Teufel aus.

Der Fürst ist zornig auf Max und verbannt ihn, doch der alte Eremit erscheint wieder (wie ein eremita ex machina, nach John Warrack zu sprechen)1 und bittet für Max um Gnade. Max darf dann doch nach einem Jahr Bewährungsfrist wiederkommen und Agathe heiraten. Die Christus-Figur Eremit (“wer hüb’ den ersten Stein wohl auf?”2) besteht darauf, dass die dumme alte Tradition beendet werden soll: in Zukunft brauchen die jungen Männer nicht mehr zu schießen, um ihre Bräute zu gewinnen.

Der Eremit und der Fürst singen dann zusammen: “Der über Sternen ist voll Gnade, drum ehrt es Fürsten, zu verzeih’n.” Alle stimmen ein: “Weicht nimmer von der Tugend Pfade, um eures Glückes werth zu sein.”3 Schlussendlich ermahnt der Eremit: “Doch jetzt erhebt noch eure Blicke zu Dem, der Schutz der Unschuld war! Ja! lasst uns zum Himmel die Blicke erheben und fest auf die Lenkung des Ewigen bau’n! Der rein ist von Herzen und schuldlos von Leben, darf kindlich der Milde des Vaters vertrau’n!”4

Die Gleichartigkeiten zwischen Freischütz, Fidelio und Zauberflöte sind so nahliegend, dass wir sie hier kaum aufzuzählen brauchen: in allen drei Opern ist es eine tugendhafte Frau, mit der Macht der Sonne und des Lichtes im Bunde, die ihren Mann aus den Klauen der Dunkelheit und des Bösen befreit. Gute Zauberei siegt hier wie dort über böse Zauberei; Jesus ist mächtiger als Samiel; Isis erlöst Osiris.

Wir wollen als Nächstes Richard Wagners “Parsifal”, ein wichtiges Erbe dieser Operntradition und dieser Thematik, betrachten, doch zuerst müssen wir einen kleinen Abstecher ins 13. Jahrhundert machen, in die Welt der höfischen Dichtung, zur Vorgängerin dieser Oper und zur Gattung Oper an sich, zu einer Art “Einmannoper” jener Epoche, zu dem vielleicht wichtigsten Epos des Mittelalters, nämlich zu Wolframs “Parzival”.

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Fußnoten:

1Deutsche Grammophon CD Büchlein (Staatskapelle Dresden, Rundfunkchor Leipzig, Dirigent: Carlos Kleiber) 1985, Seite 19.

2Dover Partitur, Seite 190.

3Dover Partitur 195-196.

4Dover Partitur 196-203.